Der Zwicker-Ton ist eine merkwürdige und rätselhafte Illusion des
Hörsinns. Sie äußert sich als ein leiser Ton, den fast jeder
Mensch einige Sekunden lang zu hören vermeint, wenn er zuvor
bestimmten Arten von Rauschen ausgesetzt war. Breitbandrauschen
mit einer spektralen Lücke ist ein solches Rauschen. Es enthält
alle denkbaren Frequenzen, bis auf einen bestimmten
Tonhöhenbereich. Gerade in diesem Bereich wird nach dem abrupten
Abschalten des Rauschens ein imaginärer Ton wahrgenommen. Dieser
kann einige Sekunden lang anhalten. Wir führen den Effekt auf ein
Rauschunterdrückungs-System im Gehirn zurück, das noch einige
Sekunden nach Abschalten des Rauschens aktiv bleibt und letztlich
den Zwicker-Ton erzeugt. Die Computersimulation eines
entsprechenden Neuronennetzes stimmt mit dieser Vorstellung
überein (J.M.P. Franosch et al., Physical Review Letters 2003).
Der Zwicker-Ton kann als eine Art Kurzzeit-Tinnitus aufgefasst
werden, denn Tinnitus wird ebenfalls häufig als Ton wahrgenommen,
der im zentralen auditorischen System entsteht. Beide Phänomene
können durch eine "spektrale Lücke" der Aktivität im Hörnerv
hervorgerufen werden. Vielleicht ist zentraler Tinnitus die Folge
eines lang anhaltenden Rauschunterdrückungs-Mechanismus oder
entsteht zumindest aufgrund einer neuronalen Verschaltung, die
auch zum Wahrnehmen des Zwicker-Tons führt.
Numerische Simulation eines Zwicker-Tons. Die farbcodierten
Feuerraten von 1000 Output-Neuronen sind eine Funktion der Zeit
und der Bestfrequenz des jeweiligen Neurons. Die "feature
detectors" antworten auf den Reinton und brennen ein Loch in die
Aktivität der "noise detectors", wodurch letztlich der Zwicker-Ton
hervorgerufen wird. Der Zwicker-Ton wird unterhalb des Reintons
wahrgenommen und ist mit einem Pfeil gekennzeichnet, der auf den
gelben Aktivitäts-Streifen im "output layer" zeigt.
Das zur numerischen Simulation gehörige neuronale Netz. Kreise
bezeichnen Neuronen, kleine geschlossene Kreise exzitatorische und
kleine offene Kreise inhibitorische Synapsen. Die "feature
detectors" werden aktiv, falls die spektrale Intensität an der
entsprechenden Stelle steil ansteigt. Sie inhibieren die "noise
detectors", welche wiederum die "output neurons" inhibieren. Der
Zwicker-Ton ensteht letztlich durch die laterale Inhibition
innerhalb der Schicht der "output neurons".
Literatur:
Jan-Moritz P. Franosch, Richard Kempter, Hugo Fastl and J. Leo van Hemmen.
Zwicker Tone Illusion and Noise Reduction in the Auditory System.
Phys. Rev. Lett. 90:178103 (2003)
(
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Rauschen mit Nachhall - Hörillusion aufgeklärt, Süddeutsche
Zeitung, 20.5.2003
Zwicker-Ton, Rauschunterdrückung und Tinnitus
Computersimulationen versprechen neuen Ansatz zur Behandlung von Tinnitus
Tinnitus treatment tones up
Ghosts of sounds may give hints about tinnitus
Dem "Sprechen mit den Göttern" auf der Spur, Baseler Zeitung,
4.7.2003
Tintinnius, un'illusione uditiva
zuletzt geändert 2007-11-05
von
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